Unterschiede der Klettertechnik und -taktik

Auch hinsichtlich der Klettertechnik und -taktik gibt es große Unterschiede und Erweiterungen am Fels im Gegensatz zum Hallenklettern. Neue Einflussfaktoren wirken auf den Kletterer und erfordern flexibles Handlungsvermögen und sicheren Umgang mit Ausrüstung und Gerät. Die Natur und der Fels sind keine planbaren Parameter und treten jedes Mal in neuer Gestalt und Form auf. Die im Folgenden genannten Besonderheiten dienen lediglich der Information und sind keinesfalls mit einem Kurs gleichzusetzten. Wir hoffen trotzdem, dass euch diese Tipps weiterhelfen können und zumindest ein paar Ungewissheiten aus dem Weg räumen. 

Zwischensicherung

Wenn ihr euch draußen an die erste Route im Vorstieg macht, wundert ihr euch vielleicht, wo ihr das Seil einhängen sollt. Anders als in der Halle wurden am Fels lediglich Bohrhaken in die Wand gesetzt, in welche die eigenen Expressen zuerst eingehängt werden müssen, um das Seil clippen zu können. Expressen haben zwei unterschiedliche Seiten: Auf der einen Seite sitzt der Karabiner lockerer und hat mehr Bewegungsspielraum als auf der anderen Seite. Beim Einhängen der Expresse solltet ihr darauf achten, dass die lockerere Seite in die Wand gehängt wird und in die festere Seite das Seil. Der Grund dafür ist, dass dadurch weniger Rüttelbewegungen des Seils auf den Bohrhaken wirken und dessen Festigkeit dadurch geschützt wird.

Für die meisten Routen von 10-25m Länge kommt man durchschnittlich mit 10 Expressen zurecht. Hieraus könnt ihr auch schon Schlüsse über den nächsten großen Unterschied zur Halle ziehen: Den Abstand zwischen den einzelnen Sicherungspunkten. Während man sich in manchen Hallen bei einem Expressenabstand von 1,5m gefühlt „tot-clipped“, so gerät man draußen oft ganz schön schnell ins Schwitzen. Abstände von 3-4m sind hier nicht unüblich und sollten auf jeden Fall bei der Routenauswahl beachtet werden. Außerdem solltet ihr auch nicht vergessen, eure Expressen beim Ablassen wieder einzusammeln, obwohl sich der nächste bestimmt auch freuen würde. 
 

Routenverlauf

Der Routenverlauf spielt am Fels oftmals eine entscheidende Rolle. Sehr oft hat man starke Querungen in einer Klettertour und muss dann beim Einhängen der Expressen besonders aufpassen. Die Öffnungen der Karabiner an der Expresse sollten immer entgegengesetzt zur Kletterrichtung zeigen. Klettert man ergo immer weiter nach rechts so müssen die Öffnungen der Karabiner nach links zeigen!

Das hat den Hintergrund, dass man bei einem ungünstigen Sturz während oder kurz nach einer Querung  durch die Pendelbewegung das Seil versehentlich aus den Expressen ausclippen kann. Also schaut euch die Route genau an bevor ihr sie klettert und passt dann beim Einhängen der Expressen auf. 
 

Umbauen und Abseilen

Ein weiterer Unterschied zwischen der Halle und dem Fels ist das Einhängen des Seils am Ende der Route. In der Halle findet man hier für üblich zwei (gegenläufige) Karabiner, welche ganz leicht zum Ablassen geclipped werden können. Draußen ist das jedoch etwas anders … Selten hat man hier das Glück einen Karabiner am Ende der Route zu finden, den man, wie in der Halle, zum Ablassen benutzen kann. In den meisten Fällen sind die Routen oben mit einem Abseilring versehen, in den man logischerweise kein Seil „clippen“ kann. Um diesen zum Ablassen oder Abseilen zu benutzen, muss man zuerst das Kletterseil am eigenen Gurt ausbinden, durch den Ring durchführen und sich anschließend wieder korrekt mit einem doppelten Achter oder Bulinknoten einbinden.

Um während des Umbinde-Vorgangs jedoch nicht ungesichert zu sein, wird hier eine Bandschlinge mit Karabiner als Selbstsicherung herangezogen. Diese hängt man, wenn möglich, nicht mit in den Abseilring sondern an einen anderen Fixpunkt am Standplatz, da es sonst beim Umbinden und wieder Aushängen der Selbstsicherung knifflig werden kann. Des Weiteren ist es sinnvoll, sich beim Umbinde-Vorgang das Seil redundant an einer Expresse oder einem Karabiner am Gurt zu hintersichern, falls man das Seil aufgrund anfänglicher Schusseligkeit doch mal fallen lässt.

Eine zweite, etwas fortgeschrittenere Methode anstelle des Umbindens und Ablassens ist das selbstständige Abseilen. Hierzu und auch zu dem vorher erwähnten Umbinde-Vorgang sollte auf jeden Fall ein Kurs besucht werden, da die dabei genutzten Techniken recht komplex sind.

Keine farblich markierten Griffe

Wie man sich schon vielleicht denken kann, hat sich bis heute niemand die Mühe gemacht, die Griffe und Tritte in den Kletterrouten draußen bunt anzumalen. Dies kann einen Anfänger am Fels zu Beginn vor enorme Herausforderungen stellen. Zum Klettern gehört nun viel mehr dazu, als während des Kletterflows nur aus dem Augenwinkel nach dem nächsten Griff in passender Farbe zu suchen. Alles muss nun viel bewusster und bedachter geschehen, verschiedene Griffmöglichkeiten müssen abgetastet werden und Tritte zu finden ist oft sowieso das Schwierigste an der ganzen Route.

Der Kletterprozess am Fels ist sehr viel erfahrungsbasierter als in der Halle. In der Halle kann man durch Größe und Kraft in der Schwierigkeitsskala schon sehr schnell nach oben schießen, wohingegen am Fels das entscheidende Attribut die Erfahrung ist. Deshalb ist es immer sinnvoll, sich mit erfahreneren Kletterern zusammen zu tun und zu versuchen, so viel wie möglich von diesen mitzunehmen. Auch sehr hilfreich sind Videos, um sich verschiedene spezifische Bewegungen am Fels anzuschauen und diese eventuell aufs eigene Klettern zu übertragen. Aber am wichtigsten: selbst so viel wie möglich zu klettern und verschiedene Griffmöglichkeiten und Gesteinsarten sowie Bewegungen kennen zu lernen. 

Vorsicht vor Selbstüberschätzung

Der Thematik Selbstüberschätzung kommt am Fels eine viel größere Bedeutung als in der Halle zu, sodass es sinnvoll ist, diese hier separat zu behandeln. Wenn man in der Halle ausversehen in eine zu schwere Tour einsteigt, kann man sich ohne Konsequenzen ablassen und weiter machen. Da man am Fels jedoch mit eigenem Material klettert, muss man oft im Falle einer Selbstüberschätzung irgendetwas zurück lassen um wieder auf den Boden zu kommen. Meist leidet hierunter die letzte Expresse, bis zu der man in der Route gekommen ist. Da Expressen recht teuer sind, empfiehlt es sich für solche Fälle immer einen „Notfall-Karabiner“ dabei zu haben, welchen man anstelle der Expresse oben hängen lässt. Dieser muss natürlich die erforderlichen Mindeststandards eines Kletterkarabiners erfüllen, um sicher genutzt werden zu können.

Selbstüberschätzung am Fels in Kombination mit weiten Abständen zwischen den Sicherheitspunkten kann außerdem zu weiten Stürzen führen. Diese können gerade am Anfang sehr gefährlich werden, da hier in den meisten Routen keine komplett senkrechte Steigung vorliegt und man im Falle eines Sturzes am Fels entlang schrammt. Also schaut euch die Routen genau an bevor ihr sie klettert und fragt gegebenenfalls erfahrenere Kletterer nach Rat.

Bodennahes Sichern und Partnercheck

Die nächsten beiden Aspekte solltet ihr schon bereits vom Klettern in der Halle kennen. Am Fels kommt ihnen jedoch aufgrund verschiedener Besonderheiten eine erhöhte Wichtigkeit zu. Ein Sturz aufgrund eines unsaubereren Partnerchecks hat am Fels oft deutlich größerer Auswirkungen als in der Halle. Außerdem ist gerade bei den ersten Malen draußen sowieso alles neu und ungewohnt: neues Material, Helm auf dem Kopf und das Seil muss man ja auch noch abbinden. Also vergesst den Partnercheck nicht und geht sicher, dass alles stimmt und ihr nichts vergessen habt bevor ihr losklettert.

Bodennahes Sichern? Was bedeutet das überhaupt? Hiermit ist die Situation am Anfang einer Route gemeint, in welcher sich der Kletterer noch nah am Boden befindet. Der Sichernde muss nun besonders wachsam sein, da ein Sturz schnell fatal enden kann. Gerade wenn die Bohrhakenabständen recht weit sind oder der erste Bohrhaken sowieso erst auf 5m Höhe kommt, ist es sinnvoll als Sichernder so nah wie möglich an der Wand zu stehen. Selbst einen Meter von der Wand entfernt zu sein, führt im Falle eines Sturzes zu einer größeren Fallstrecke und damit oft zum grounding. Also stellt euch bis zur dritten oder vierten Expresse an die Wand, jedoch nicht in die Falllinie! Damit senkt ihr außerdem die Chancen, dass ihr von einem losgetretenen Stein getroffen werdet.